Was ist POTS?

Dr. Martina Melzer, veröffentlicht: 29.06.2022

 

 

Was ist POTS?

Die Abkürzung POTS steht für Posturales Orthostatisches Tachykardiesyndrom. POTS ist eine sogenannte Dysautonomie, also eine Fehlfunktion des autonomen Nervensystems. Es gilt als chronische Multisystem-Erkrankung und betrifft vorwiegend junge Frauen. POTS tritt häufig zusammen mit Migräne, Ehlers-Danlos-Syndrom, Mastzellaktivierungssyndrom, Autoimmunkrankheiten, Long Covid und ME/CFS auf.

Ursachen von POTS

Es gibt verschiedene Formen von POTS:

  • Neuropathisches POTS: Diese Form geht mit einer Fehlfunktion oder Schädigung (das ist noch unklar) kleiner Nervenfasern einher, der sogenannten Small-Fiber-Neuropathie.
  • Hyperadrenerges POTS: Diese Form wird wohl durch zu hohe Konzentrationen an Noradrenalin im Körper hervorgerufen, also einer Überstimulierung des aktivierenden Teils des autonomen Nervensystems, des Sympathikus.
  • Hypovolämisches POTS: Ein zu kleines Blutvolumen ruft sehr wahrscheinlich diese Form hervor.
  • Sekundäres (oder autoimmunes?) POTS: Diese Form tritt zusammen mit  Autoimmunkrankheiten wie Sjögren-Syndrom oder Hashimoto-Thyreoiditis auf.


Es wurden in den letzten Jahren immer wieder spezielle Autoantikörper bei Menschen mit POTS gefunden, die unter anderem Bestandteile des Herz-Kreislauf-Systems oder des autonomen Nervensystems angreifen. POTS beginnt zudem häufig nach einer Infektion. Neben dem autonomen Nervensystem scheint also auch das Immunsystem eine Rolle zu spielen (was mich nicht wundert).

Was genau bei POTS im Körper abläuft, ist noch nicht ganz klar. Durch die oben genannten potenziellen Auslöser schafft es der Organismus im Stehen aber nicht richtig, den Blutfluss anzupassen. Wenn wir normalerweise aufstehen, sorgen Botenstoffe des autonomen Nervensystems wie Noradrenalin dafür, dass sich die Blutgefäße in der unteren Körperhälfte zusammenziehen und das Herz etwas schneller schlägt. So kommt genügend Blut in der oberen Körperhälfte an. Bei POTS kommt „oben“ zu wenig Blut an, was die typischen Symptome im Stehen erklärt.

 

Auf YouTube, Spotfiy und Anchor: POTS - Was mir hilft

Typische Symptome

Das charakteristischste Symptom ist das Herzrasen, wenn man steht. POTS ruft aber viele weitere Beschwerden hervor. Zum Beispiel: Energiemangel, Kopfschmerzen, Brainfog, Fatigue, Muskelschwäche, Brustschmerzen, allgemeines Schwächegefühl, Schwindel, Ohnmacht, Zittern, bläulich verfärbte Füße oder Beine und zahlreiche Magen-Darm-Probleme. Diese können von Übelkeit, über Blähungen bis zu Magenschmerzen und Verstopfung reichen. In seltenen Fällen kann es zur Gastroparese kommen, also einer verzögerten Magenentleerung oder sogar Lähmung. Auch wenn POTS keine lebensbedrohliche Erkrankung ist, sondern „nur“ eine Fehlfunktion, müssen Menschen mit POTS immer wieder als Notfall ins Krankenhaus gebracht werden, weil ihre Herzfrequenz exorbitante Ausmaße erreicht.

POTS feststellen

Um die Diagnose POTS stellen zu können, muss ein geeigneter Arzt oder eine geeignete Ärztin im Wesentlichen zwei einfache Tests machen: den Schellong-Test und den Kipptischtest. Dabei muss die Herzrate innerhalb von 10 Minuten in stehender Position um mindestens 30 Schläge pro Minute im Vergleich zur liegenden Position ansteigen. Bei Jugendlichen wurde ein Anstieg von 40 Schlägen pro Minute festgelegt. Du musst außerdem die typischen Symptome haben. Bei manchen Menschen sinkt der Blutdruck während des Tests plötzlich, bei anderen bleibt er gleich oder steigt. In den ersten drei Minuten sollte er aber nicht absinken. Dann liegt eher eine orthostatische Hypotonie vor, also ein Absacken des Blutdrucks beim Stehen.

Daneben müssen natürlich zahlreiche andere mögliche Ursachen gründlich ausgeschlossen werden!

Neben POTS gibt es die sogenannte IST: Inappropriate Sinus Tachycardia. Also in etwa: nicht angepasstes Herzrasen. Hierbei hat man einen stark erhöhten Ruhepuls mit über 100 Schlägen pro Minute.

Was hilft bei POTS?

Dazu gibt es ein paar allgemeine Empfehlungen:

Um das Blutvolumen zu vergrößern:

  • 2 bis 3 Liter Flüssigkeit trinken, am besten Wasser
  • Mehr Salz zu sich nehmen (3 bis 10 Gramm Speisesalz täglich)
  • Eventuell Elektrolytlösungen
  • Eventuell den Kopf vom Bett erhöhen

Um den Venen die Arbeit zu erleichtern:

  • Kompressionssocken oder -strumpfhosen
  • Öfters hinlegen und die Füße erhöhen

Um dem bei POTS häufig vorliegenden Muskelabbau vorsichtig entgegenzuwirken:

  • Angepasste Bewegung wie Kraftübungen für die Beine im Liegen oder Sitzen und etwas Ausdauertraining (wer gleichzeitig ME/CFS oder Long Covid hat, muss wirklich seine individuelle Bewegungsform finden, aber es ist wichtig, etwas zu tun!)

Medikamente:

  • Eventuell spezielle Medikamente in Absprache mit dem Arzt oder der Ärztin
  • In speziellen Fällen die Gabe von Immunglobulinen (Antikörpern) in die Vene (IVIG)

Ernährung:

  • Häufig haben Menschen mit POTS Probleme mit dem Blutzucker. Manche haben sogar eine Insulinresistenz. Der Blutzucker kommt also nicht mehr in die Zellen, weil diese nicht mehr auf Insulin reagieren. Deshalb macht es Sinn, auf schnell verdauliche Kohlenhydrate zu verzichten und langsam verdauliche zu essen. Vielleicht verträgst du auch mehrere kleine Mahlzeiten besser als wenige große. Wenn du einen Snack brauchst, rate ich zu „high fat, low carb“. Alkohol empfiehlt sich eher nicht, da er die Gefäße weitet und das Blut noch mehr versacken lässt. Ob Kaffee für dich gut ist oder nicht, musst du selbst herausfinden. Er zieht ja die Gefäße zusammen, regt aber auch den aktivierenden Teil des autonomen Nervensystems an, den Sympathikus.

Mehr Infos zu Therapien:
https://www.pots-dysautonomia.net/ueber-pots

https://www.dysautonomiasupport.org/what-is-dysautonomia/

http://www.dysautonomiainternational.org/page.php?ID=36

https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S153854421400011X

Es gibt natürlich viele weitere Behandlungsmöglichkeiten. Aus meiner Sicht ist es aber am Wichtigsten, das autonome Nervensystem wieder in Balance zu bringen und in diesem Zusammenhang die Ursachen zu finden, warum es aus dem Lot geraten ist!

Das hat mir geholfen

Mir hat mit meinem POTS am meisten geholfen, morgens nach dem Aufstehen zwei große Gläser Wasser mit etwas Salz zu trinken und tagsüber genügend zu trinken. Wichtig waren Kompressionssocken aller Art, zum Beispiel die aus der Apotheke oder die für Läufer. Wenn mir im Stehen plötzlich total schwindlig war: Die Beine überkreuzen und zusammenpressen, als müsste man dringend auf Toilette, und die Finger ineinander verhaken und fest nach außen ziehen. Das steigert den Blutdruck und aktiviert die Muskelpumpe in den Beinen. Ansonsten immer ein mobiles Höckerchen dabei haben und einen Gehstock, Snacks mit wenig Kohlenhydraten und viel Fett. Dysautonomien gehen häufig mit Blutzuckerschwankungen und Problemen bei der Verdauung von Kohlenhydraten einher. Deshalb habe ich ein besonderes Augenmerk auf einen einigermaßen stabilen Blutzucker gehabt. Medikamente habe ich keine ausprobiert. Mein POTS ist inzwischen viel besser geworden und ich behalte die beschriebenen Maßnahmen zum Teil noch bei.

Genesung von POTS ist möglich

Ja, Genesung von POTS ist möglich. Irene Lyon, Nervensystem-Expertin aus Kanada, hat hierzu ein schönes kurzes Erklärvideo gemacht:

Quelle: Irene Lyon

Da POTS eine Fehlfunktion des autonomen Nervensystems ist, lässt sich diese durch ein Umtrainieren des Gehirns aufheben. Es gilt, das autonome Nervensystem wieder in Balance zu bringen, aus seinem Überlebensmodus herauszuholen.

Beispiele für Genesungsgeschichten von POTS:
https://cfsunravelled.com/pots-recovery-stories-patient-pots-stories-with-a-difference/

https://www.potstreatmentcenter.com/sara-two-years-later-pots-treatment-center-review-testimonial/

https://www.youtube.com/watch?v=pkQhg6CLjII

 

 

PS: Natürlich recherchiere und kontrolliere ich alles, was ich hier schreibe, so gut wie möglich. Trotzdem bin ich auch nur ein Mensch und mache Fehler. Außerdem ziehe ich vielleicht ganz andere Schlüsse wie es jemand anders tun würde. Einfach weil sie zu meiner Geschichte passen. Doch jede Geschichte ist anders.

Wichtig: Die Inhalte auf dieser Seite dienen nur zu Informationszwecken und ersetzen nicht das Gespräch mit Ärztin, Arzt oder anderen Therapeuten. Die Inhalte spiegeln meine persönlichen Erfahrungen, Recherchen und Erkenntnisse wider, die mir geholfen haben und die ich deshalb teilen möchte. In Ihrem persönlichen Fall können jedoch ganz andere Sachen eine Rolle spielen und andere Dinge helfen. Bitte sprechen Sie mit Ihrer Ärztin, Ihrem Arzt oder Therapeuten, bevor Sie Entscheidungen treffen, die Ihre körperliche oder mentale Gesundheit betreffen. Auch wichtig: Ich möchte hier niemand von etwas überzeugen. Vielmehr möchte ich mögliche Wege aufzeigen, die hoffentlich einigen Menschen helfen können, ihr ME/CFS oder andere Syndrome zu verbessern oder zu überwinden.

 

quellen

Johns Hopkins University: POTS. Online: https://www.hopkinsmedicine.org/health/conditions-and-diseases/postural-orthostatic-tachycardia-syndrome-pots

Vernino S et al: Postural orthostatic tachycardia syndrome (POTS): State of the science and clinical care from a 2019 National Institutes of Health Expert Consensus Meeting - Part 1. Auton Neurosci. 2021

Vernino S, Stiles LE. Autoimmunity in postural orthostatic tachycardia syndrome: Current understanding. Auton Neurosci. 2018

Wells R, Malik V, Brooks AG, Linz D, Elliott AD, Sanders P, Page A, Baumert M, Lau DH. Cerebral Blood Flow and Cognitive Performance in Postural Tachycardia Syndrome: Insights from Sustained Cognitive Stress Test. J Am Heart Assoc. 2020

Chelimsky G, Chelimsky T. The gastrointestinal symptoms present in patients with postural tachycardia syndrome: A review of the literature and overview of treatment. Auton Neurosci. 2018

Dysautonomia Doctors (Instagram)

Fu Q, Levine BD. Exercise and non-pharmacological treatment of POTS. Auton Neurosci. 2018

Victoria Strassheim, Jenny Welford, Rob Ballantine, Julia L. Newton: Managing fatigue in postural tachycardia syndrome (PoTS): The Newcastle approach. Autonomic Neuroscience, Volume 215, 2018