Dr. Martina Melzer, veröffentlicht: 21.02.2022, aktualisiert: 18.02.2023

 

Ein gesunder Lebensstil ist für jeden Menschen wichtig, der gesund bleiben oder es werden möchte. Aus meiner Sicht spielen vor allem Ernährung, Bewegung, Schlaf, ein gesunder Darm, Pacing ("kenne dein Limit") und Stressmanagement eine zentrale Rolle. Gerade bei Körper-Geist-Syndromen wie ME/CFS, Long Covid, chronische Borreliose oder Fibromyalgie sind diese Faktoren aus der Balance geraten. Das bedeutet Stress für den Körper. Und den möchtest du ja senken, um wieder gesund zu werden.

ernährung

Unser Körper benötigt Makronährstoffe, das sind Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate, um Energie zu produzieren. Er braucht dafür aber auch Mikronährstoffe – Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Fehlen ihm Nährstoffe, weil zum Beispiel die Darmschleimhaut beeinträchtigt ist oder wir uns ungesund ernähren, dann arbeiten die kleinen Energiekraftwerke in unseren Zellen, die Mitochondrien, nicht richtig.

Bei einigen Menschen mit Fibromyalgie ließ sich beispielsweise ein Mangel an Aminosäuren, Magnesium, Selen und B-Vitaminen nachweisen. Auch bei Menschen mit ME/CFS können Mangelerscheinungen auftreten. Zum Beispiel: zu wenig Vitamin C, B-Vitamine, Natrium, Magnesium, Zink, L-Carnitin, Tryptophan, Fettsäuren und Coenzym Q10.
 
Unser Essen kann uns auch Energie rauben, indem es den Blutzucker in die Höhe schnellen und dann rasch absinken lässt. Erst steht so ein Übermaß an Energielieferanten zur Verfügung und dann fehlen sie plötzlich. So machen wir eine Achterbahnfahrt aus kurzzeitigem „High“ und danach anhaltendem „Crash“ mit. Besonders niedriger Blutzucker triggert zugleich das autonome Nervensystem. Der anregende Teil, der Sympathikus, wird aktiviert. Der Körper verfällt in einen Alarmzustand – das kostet sehr viel Energie und bringt das Nervensystem außer Balance. Ähnliche Effekte haben Stimulanzien wie Koffein.

Gibt es eine Anti-Fatigue-Diät?

Ich weiß nicht genau, wie viele Ernährungsweisen es gibt, die gegen chronische Erschöpfung helfen sollen, aber es sind sicher sehr viele. Unter anderem: Paleo, ketogen, Autoimmun-Paleo, antientzündliche Diät, kein Gluten, keine Milchprodukte, Medical Medium, GAPS-Diät, Specific Carbohydrate Diet, usw.

Gemeinsam ist den meisten, dass wir Lebensmittel vermeiden sollen, die uns nicht guttun, Entzündungen fördern und das Immunsystem beschäftigen. Als Übeltäter gelten fast immer Gluten, das in Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel, Emmer und Kamut steckt. Hierbei könnten auch sogenannte Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) eine Rolle spielen. Zweitens Milchprodukte. Dann wird es bunt: Getreide ja oder nein, Eier ja oder nein, vegan, vegetarisch oder regelmäßig tierisches Eiweiß? Was ist mit Nachtschattengewächsen, Hülsenfrüchten, Pseudogetreide, stärkehaltigem Gemüse? Wie viele Kohlenhydrate, Fett, Eiweiß?

Die Empfehlungen widersprechen sich und man kann schier verrückt werden. Alex Howard fasst dieses Dilemma in seinem Buch „Decode your fatigue“ treffend zusammen: Wir sind alle verschieden. Was des einen Menschen Medizin, ist des anderen Gift. Niemand kann sagen, wie du auf ein Lebensmittel reagierst, außer du selbst. Wiedermal musst du also selbst zum Detektiv werden und auf deinen Körper hören.

 

Was ist von Nahrungsergänzungsmitteln zu halten?

Hast du in deiner Verzweiflung auch schon Nahrungsergänzungsmittel genommen? Vielleicht sogar sehr viele? Willkommen im Club. Wie anfangs beschrieben, hat ein Teil der Menschen mit ME/CFS oder dem Symptom Fatigue Nährstoffdefizite. Dann können Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente in Pillenform tatsächlich sinnvoll sein. Idealerweise besprichst du das aber mit deinem Arzt oder deiner Ärztin. So lässt sich auch ein Mangel bestimmen und ein geeignetes Präparat in passender Dosierung finden.

In allen anderen Fällen gilt wieder: Es kann total helfen, es kann überhaupt keinen Effekt haben, es kann dir sogar schaden. Nahrungsergänzungsmittel wechselwirken mit Lebensmitteln und Medikamenten. Sie können sich gegenseitig bei ihrer Aufnahme im Darm behindern, unlösliche Komplexe bilden, usw. Menschen mit Krebs sollten bei Vitaminpillen besonders vorsichtig sein.

Es gibt viele Studien zum Thema Fatigue und Supplemente. Sie kommen aber zu widersprüchlichen Ergebnissen. Die Wissenschaftler sind sich meist einig, dass es am besten ist, alle wichtigen Nährstoffe über eine ausgewogene Ernährung zu sich zu nehmen und nicht einzelne Substanzen zuzuführen.

 

Tipps für eine ausgewogene Ernährung

Eine ausgewogene und antientzündliche Ernährung setzt sich aus sehr viel Gemüse, etwas Obst, Omega-3-Fettsäuren, Ballaststoffen und Fett, Eiweiß und Kohlenhydraten in individueller Verträglichkeit zusammen.

  • So wenig verarbeitete Lebensmittel wie möglich, idealerweise erkennst du das Grundprodukt noch
  • keine schnell verdaulichen Kohlenhydrate, um die Blutzucker-Achterbahn zu vermeiden
  • so wenig Koffein wie möglich, um den Stressnerv (Sympathikus) nicht zu reizen und die Nebennieren zu schonen
  • Iss den Regenbogen: Jeden Tag viel Gemüse in verschiedenen Farben, möglichst oft auch grünes Blattgemüse und schwefelhaltiges Gemüse wie Kohlsorten, Obst enthält viele gesunde Farbstoffe und Antioxidantien, aber nicht in rauen Mengen essen wegen des Fruchtzuckers
  • Potenzielle Unverträglichkeiten und Allergien ausfindig machen und die Auslöser so lange meiden, wie du darauf regierst. Bei Allergien kann das ein Leben lang sein, bei Unverträglichkeiten ändert sich die Toleranzschwelle häufig wieder
  • Zu jeder Mahlzeit Fett, Eiweiß, Kohlenhydrate – je nach individueller Verträglichkeit. Ob das Eiweiß am besten aus tierischen oder pflanzlichen Quellen stammt, ist wieder etwas sehr Individuelles
  • gründlich kauen (bis ein Brei im Mund entsteht), in Ruhe essen und nicht zu viel reden, nicht zu viel direkt zum Essen trinken, aber zwischen den Mahlzeiten ausreichend viel, am besten Wasser und ungesüßten Tee
  • ob für dich eine oder sechs Mahlzeiten am Tag am besten sind, musst du selbst herausfinden. Viele Ärztinnen und Wissenschaftler empfehlen, eine Esspause von 12 bis 16 Stunden täglich einzuhalten (Intervallfasten), echtes Fasten kann dem einen extrem viel bringen, dem anderen schadet es
  • so viel bio wie möglich

darmgesundheit

darm-immunsystem

Der Darm verdaut nicht nur unser Essen. Er erfüllt noch viele weitere Aufgaben. Zum Beispiel beherbergt er 70 bis 80 Prozent aller Immunzellen. Das macht Sinn, weil in den Darm viele Krankheitserreger und andere potenziell schädliche Substanzen aus der Umwelt gelangen. Bevor Nahrungsbestandteile aus dem Darminneren in die Darmschleimhaut aufgenommen werden und es von dort in den Pfortaderkreislauf und letztlich in den Blutkreislauf schaffen, müssen sie geprüft werden. Sind die Nahrungsbestandteile gut, schlecht, nützlich oder gefährlich, willkommen oder nicht willkommen, muss man sie töten? Diese Entscheidungen trifft das Darmimmunsystem – bei jeder Mahlzeit, die wir zu uns nehmen.

Deshalb löst auch jede Mahlzeit eine winzige Entzündungsreaktion im Darm aus, von der wir normalerweise nichts merken. Kommt es zu einer stärkeren oder wiederholten Entzündung, nehmen wir das sehr wohl wahr. Zum Beispiel als Durchfall, Erschöpfung, Erkältungsgefühl. Ist der Darm ständig ein bisschen entzündet, schränkt das die Verdauungstätigkeit ein, kann zu Nährstoffmangel beitragen und Fatigue auslösen. Die Entzündung kann sich im Körper fortpflanzen, sich auf andere Organe auswirken, die Mitochondrien schwächen. Das sind unsere kleinen, lebenswichtigen Energiekraftwerke. Auch die Bildung von Hormonen kann sich verändern. Es kommt zum Beispiel zu Imbalancen von Schilddrüsenhormonen, Sexual- und Stresshormonen. All das trägt zu chronischer Erschöpfung und vielen anderen Symptomen bei.

Entzündungsreaktionen im Darm können auch eine Entzündung im Hirn verursachen. Das geschieht wohl über den Vagusnerv, den beruhigenden Teil unseres autonomen Nervensystems. Er registriert, dass im Darm etwas nicht stimmt. Entzündungsbotenstoffe, sogenannte Zytokine, und Immunzellen triggern den Vagus. Sagen ihm, Achtung Gefahr, Eindringling, Problem. Der Vagusnerv leitet die Informationen ans Gehirn weiter, wodurch dort unter anderem das sogenannte Sickness Behavior ausgelöst wird: Wir sind erschöpft, müde, wollen uns hinlegen, haben eventuell Fieber, Gliederschmerzen, sind nicht gut drauf. Studien weisen darauf hin, dass eine Darmentzündung sozusagen vom Hirn gespiegelt wird, dort also auch Immunzellen und Zytokine ausgeschüttet werden. Außerdem können aktivierte Immunzellen aus dem Darm ins Zentralnervensystem wandern, was eventuell bei der Entstehung einer Multiplen Sklerose eine Rolle spielen könnte.

Ist unser Immunsystem etwas aus der Balance geraten, kann es manchmal nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden. Ein Nahrungsbestandteil oder Krankheitserreger sieht vielleicht auf seiner Oberfläche ähnlich aus wie körpereigenes Gewebe. Die gegen diese Oberflächenbestandteile gerichteten Immunzellen reagieren nicht nur auf den Fremdstoff, sondern greifen auch körpereigenes Gewebe an: eine Autoimmunreaktion entsteht. Bei Krankheiten wie Zöliakie, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, aber auch Multipler Sklerose und Rheumatoider Arthritis spielen oder könnten solche Vorgänge eine wichtige Rolle spielen. Ist das Immunsystem dagegen zu schwach oder erschöpft, wird man anfälliger für Infektionen.

darmflora

Die Darmflora, auch Darmmikrobiom genannt, beeinflusst verschiedenste Körperfunktionen. Sie besteht aus einer Vielzahl an Bakterien, aber auch aus Pilzen, Viren, Parasiten und anderen Einzellern. Es gibt dabei sehr nützliche, hilfreiche und für uns unverzichtbare Mikroorganismen. Sie helfen, das Essen zu verdauen, beeinflussen unsere Stimmung, den Schlaf, dichten die Darmwand gegen schädliche Mikroorganismen ab, bilden kurzkettige Fettsäuren als Energiesubstrat für die Darmzellen, stellen Gehirnbotenstoffe her und wirken antientzündlich.

Daneben gibt es Darmbewohner, die eher Entzündungen fördern und Ärger machen können, wenn sie sich ungewollt vermehren. Dann entsteht eine Dysbalance, die zu einer Entzündung im Darm und letztlich im ganzen Körper führen kann. Und das geht natürlich mit Erschöpfung einher.

Eine gestörte Darmflora scheint bei vielen Krankheiten eine Rolle zu spielen, zum Beispiel bei Autoimmunkrankheiten, bei ME/CFS, bei Fibromyalgie, Depressionen, Angststörungen, Parkinson, etc... Derzeit lässt sich aber noch nicht genau sagen, ob die veränderte Darmflora Ursache oder Folge dieser Krankheiten ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten lediglich einen Zusammenhang feststellen.

Darm-Hirn-Achse

Zwischen Darm und Hirn findet ein reger Austausch statt. Der Darm besitzt ein eigenes Nervensystem, das Darmnervensystem. Genauso wie das autonome Nervensystem funktioniert es auch unwillkürlich. Also ohne, dass wir direkt bewusst Einfluss darauf nehmen können – nur indirekt. Die Wissenschaft ist sich noch nicht einig, ob das Darmnervensystem ein eigenständiges autonomes System ist oder als Teil des autonomen Nervensystems zu verstehen ist, das sich aus dem aktivierenden Teil, dem Sympathikus, und dem beruhigenden Part, dem Parasympathikus zusammensetzt.

Der Parasympathikus besteht hauptsächlich aus dem Vagusnerv. Er entspringt im Hirnstamm und wandert dann durch den Hals entlang der Speiseröhre durchs Herz, in den Magen, den Darm und andere Bauchorgane. Er und das Darmnervensystem kommunizieren ständig miteinander – das ist die Darm-Hirn-Achse. Der Darm ist ein wichtiger Fühler zur Außenwelt. In ihn gelangen Nahrungsmittel, Giftstoffe, Krankheitserreger, Plastikteilchen, usw. Aber auch unsere Gefühlswelt, unsere Emotionen wirken sich dort aus oder entstehen vielleicht sogar dort. Der Darm bildet wichtige Hirnbotenstoffe, zum Beispiel Serotonin und Dopamin, die auch im Zentralnervensystem und dem limbischen System (unser Emotionszentrum) eine wichtige Rolle spielen. 95 Prozent des Serotonins im Körper werden im Darm produziert. Das Darmnervensystem ist ein Abbild des Zentralnervensystems  - oder umgekehrt.

Der Vagusnerv bekommt alles mit, was im Darm los ist. Ob das Immunsystem aktiviert ist, der Darm (oder wir) nicht gut drauf sind, der Darm Gefahr wittert. Der Vagusnerv hört das und gibt die Informationen ans Gehirn weiter. 80 Prozent der Informationen, die dieser Nerv weiterleitet, stammen aus unseren Eingeweiden. Nur 20 Prozent leitet er von „oben nach unten“. Darm und Vagus wirken sich auf unsere Stimmung, unser Verhalten, unser Handeln, das Krankheitsgefühl, Erschöpfung, Schmerz, und vieles mehr aus. Man darf den Darm einfach nicht unterschätzen.

Ist die Darm-Hirn-Achse gestört, kann es zu weitreichenden Problemen im Körper kommen. Nicht nur zum Reizdarm, sondern auch zu Entzündungsprozessen in Darm, Hirn und anderen Organen oder Geweben. Auch emotional wirkt sich die Fehlsteuerung aus: Einige Forschungsgruppen vermuten, dass Depressionen und Angststörungen im Darm entstehen könnten, wenn die Darm-Hirn-Achse aus der Balance geraten ist, ebenso wie die Darmflora (siehe oben).

Dass Emotionen  eng mit dem Magen-Darm-Trakt verbunden sind, veranschaulichen Redewendungen wie „mir kommt die Galle hoch“, „ich könnte kotzen, so ekelt mich das an“, „ich habe viel zu verdauen“ oder „Liebe geht durch den Magen“. Und das Bauchgefühl, der sechste Sinn, ist kein Humbug, sondern steht sinnbildlich für das Darmnervensystem und den Vagus. Seelische oder körperliche Traumata bringen Darmnervensystem und autonomes Nervensystem durcheinander. Der Körper hängt in einer andauernden Stressantwort fest. Er ist auf Sympathikus-Dauerfeuer. Der Gegenspieler, der Vagus, wird blockiert. Es gibt hierbei allerdings noch andere Varianten. So kann auch ein Teil des Vagusnervs zu aktiv sein oder Sympathikus und Parasympathikus stecken gleichzeitig auf „An“ fest. Das erklärt auch, weshalb sich Stress und Traumata so sehr auf die Verdauung auswirken.

Das Reizdarmsyndrom gilt heute primär als Störung der Darm-Hirn-Achse. Viele Menschen mit ME/CFS, Fibromyalgie, Depressionen oder Reizmagen haben parallel einen Reizdarm. Was genau hinter dem Syndrom steckt, ist noch nicht ganz klar. Das Darmnervensystem, ebenso wie die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn sind aus dem Lot geraten, die Darmflora ist häufig verändert, die Darmbarriere wird durchlässiger und es kommt wohl zu winzigen Entzündungsreaktionen im Darm. Wie bei ME/CFS gilt jedoch: Ich bin viele. Nicht jeder Mensch hat den gleichen Reizdarm. Die ganzen Nahrungsmittelunverträglichkeiten, die zu Reizdarmbeschwerden führen, stellen laut der deutschen Ärzteleitlinie eher eine Differenzialdiagnose dar, sind also abzugrenzen vom „echten“ Reizdarm.

Leaky gut-Syndrom

Auf diesen Begriff stoße ich sehr oft. Man könnte mutmaßen, dass der Darm bei diesem Syndrom löchrig wie Schweizer Käse wird. Aber das stimmt natürlich nicht. Vielmehr geht der Leaky gut mit einer erhöhten Durchlässigkeit der Darmschleimhaut einher.

Die Darmschleimhaut ist immer in gewissem Maße durchlässig, sonst könnten wir darüber keine Nährstoffe aufnehmen. Aber bei einigen Menschen und verschiedenen Krankheitsbildern sind die Verbindungen zwischen den Darmzellen etwas weniger dicht. Deshalb gelangen auch größere Moleküle aus dem Essen,von Krankheitserregern oder anderer Herkunft in die Schleimhaut und können dort  - je nach individueller Empfindlichkeit – eine Entzündungsreaktion auslösen. Das Darmimmunsystem wird aktiviert und das kann sich mit Symptomen bemerkbar machen.

Wie so oft in der Wissenschaft gehen die Meinungen auseinander, wie weit die Folgen eines „Leaky gut“ im Körper reichen können. Die einen sagen: Gibt´s nicht. Die anderen sagen: Beschränkt sich auf den Darm, mit Blähungen, Blähbauch, Durchfall, Verstopfung, Völlegefühl. Einige Forscher und Forscherinnen vermuten, dass eine erhöhte Darmpermeabilität den Zustand bei Krankheiten wie ME/CFS, MS oder Rheumatoider Arthritis verschlechtern kann. Und auch Symptome wie Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen und Erschöpfung verstärken kann. Auch ist unklar, ob das Syndrom Ursache, Folge oder Begleiterscheinung ist. Ganz klar liegt dagegen eine durchlässigere Darmwand bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa vor.

Nahrungsmittelunverträglichkeiten und -allergien

Während meiner eigenen krampfartigen Recherchen in den letzten Jahren habe ich gelernt: Man kann auf alle möglichen Nahrungsmittel empfindlich reagieren. Egal ob das eine Unverträglichkeit oder eine Allergie ist. Und was man verträgt oder nicht, ist eine höchst individuelle Sache.

Es gibt Menschen, die reagieren zum Beispiel auf Gluten oder Amylase-Trypsin-Inhibitoren aus Weizen. Andere bekommen Darmprobleme oder Beschwerden woanders im Körper, wenn sie zu viel Milchzucker, Fruchtzucker, Sorbit, Histamin, Oxalat, Salicylate oder FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole) essen. Aber auch Milcheiweiß, Soja, Nüsse, Eier, Fisch, Sellerie, Kohl, Hülsenfrüchte, Getreide und Nachtschattengewächse wie Paprika und Auberginen können Probleme bereiten.

Mehr zu FODMAPs von der Erfinderin der low FODMAP-Diet:
https://shepherdworks.com.au/disease-information/low-fodmap-diet/#wrapper-wmw5541ba420746f

Da ich ziemliche Darmprobleme hatte (und immer noch etwas habe), bin ich mit Nahrungsmitteln fast verrückt geworden. Ich habe alle möglichen Diäten ausgetestet, auf verschiedenste Lebensmittel verzichtet, habe Tagebuch geführt. Habe furchtbar viel Geld für Unverträglichkeitstests ausgegeben, die mir dann doch nicht viel  weitergeholfen haben. Ich denke, einige von euch kennen das auch. Mir hat letztlich der Verzicht auf Milch- und Weizenprodukte am meisten geholfen, FODMAPs in Maßen zu essen und zu ballaststoffreiche Lebensmittel wohl zu dosieren. Und: Fleisch wieder einzuführen und Knochenbrühe zu trinken.

Leider ist das wie gesagt sehr individuell. Das bedeutet, du musst wiedermal Detektiv werden und selbst durch zeitlich begrenzten Verzicht herausfinden, was du vielleicht nicht verträgst. Wichtig: Nicht zu lange zu viel vermeiden. Unser Darm liebt Vielfalt und der Körper erhält aus den verschiedensten Lebensmitteln alle wichtigen Makro- und Mikronährstoffe, die er braucht.

SIBO und Candida-Überwucherung

SIBO, also small bacterial overgrowth oder auf Deutsch: Dünndarmfehlbesiedelung, ist auch so ein Schlagwort geworden. Es bedeutet, dass sich im hinteren Dünndarm zu viele Bakterien angesiedelt haben, die dort eigentlich nicht in diesem Ausmaß hingehören. Das kann eine Reihe von Darmproblemen, Erschöpfung sowie weitere Beschwerden auslösen. Wie üblich ist umstritten, ob und wie man die Fehlbesiedelung behandeln soll. Mit speziellen Antibiotika oder durch befristeten Kohlenhydratverzicht? Meine Botschaft ist hier: Wenn du Reizdarmbeschwerden hast und bisher nichts geholfen hat, versuche einen Gastroenterologen zu finden, der sich mit SIBO auskennt und dich testen kann. Dann lässt sich über die geeignete Therapie diskutieren.

Dasselbe gilt für eine Überwucherung von Candida-Pilzen im Dickdarm. Hefepilze kommen in jedem gesunden Dickdarm vor und gehören zu unserer normalen Darmflora dazu. Sie sind als per se nicht schlecht. Bei manchen Menschen kann es aber passieren, dass sich die Candida-Hefen explosionsartig vermehren, die Darmflora durcheinander bringen, Entzündungen auslösen und damit Probleme bereiten. Besonders für immungeschwächte Menschen kann das gefährlich werden. Am besten einen „gescheiten“ Arzt oder eine „gescheite“ Ärztin finden, die sich damit auskennt und dann weitersehen.

was dem Darm guttut

  • Iss den Regenbogen: Möglichst viele Farben in die Gemüsepfanne. Der Darm liebt Vielfalt und in stark gefärbten Obst- und Gemüsesorten stecken besonders viele nützliche sekundäre Pflanzenstoffe. Aber auch Kohlgemüse und grünes Blattgemüse sollten nicht fehlen.
  • Möglichst viel unverarbeitete Lebensmittel essen. Idealerweise erkennst du noch das Grundlebensmittel. Sonst: Am besten maximal fünf Inhaltsstoffe auf der Zutatenliste.
  • Fermentierte Lebensmittel wie (veganen) Joghurt, Sauerkraut und Kimchi essen. Darin finden sich viele Milchsäurebakterien, die zur gesunden Darmflora gehören. Ob Probiotika in Pillen- oder Pulverform helfen, variiert wieder von Mensch zu Mensch. Ich habe da viel probiert, ohne nennenswerte Erfolge, aber das muss nicht für dich gelten. Wenn, dann würde ich zu einem Präparat aus der Apotheke raten, dass wirklich viele Keime enthält und eine Mischung aus verschiedenen. Probiotika sind aber eine Wissenschaft für sich.
  • Genauso wichtig wie Probiotika sind Präbiotika. Das sind Inhaltsstoffe in Nahrungsmitteln, die den guten Darmbakterien als Futter dienen. Sie lieben zum Beispiel Inulin, FODMAPs (weshalb eine dauerhafte low FODMAP-Diät aus meiner Sicht nicht gut ist) und andere spezielle Kohlenhydrate, die etwa in Hülsenfrüchten und Vollkorngetreide vorkommen.
  • Ballaststoffe sind insgesamt wichtig für die Darmgesundheit und die Verdauung. Deshalb regelmäßig und nach individueller Verträglichkeit Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, viel Gemüse und etwas Obst, Nüsse, Samen essen. Ich selbst habe zusätzlich viel mit Flohsamen und Leinsamen experimentiert. Flohsamen war für mich nichts, fast gemahlene Leinsamen dagegen schon und seit Neuestem Akazienfaserpulver.
  • Fasten und Intervallfasten tun dem Darm gut, weil er dann Zeit hat, sich zu putzen, alte Zellen abzustoßen und neue zu bilden. Ist aber nicht für jeden geeignet.
  • Schlaf ist für eine gute Verdauung wichtig.
  • Tägliche Entspannung, Ruhepausen, ein Nickerchen, Yoga, Meditieren, den Bauch mal dehnen – das mag er.
  • In manchen Fällen kann Glutamin helfen, eine lädierte Darmschleimhaut wiederaufzubauen. Die Aminosäure steckt zum Beispiel in Knochenbrühe. Mir hat das sehr geholfen, auch wenn ich eigentlich nicht so begeistert davon bin. Wichtig ist hier Bio.

 

bewegung

Ist körperliche Aktivität bei ME/CFS sinnvoll?

Ja, ich denke schon. Mir hat mal eine ME/CFS-Spezialistin gesagt, dass man nicht ganz auf Bewegung verzichten soll, sondern so viel wie möglich machen soll – aber eben ohne sich zu überfordern. Das Problem ist sonst: Wer sich nicht bewegt, dessen Muskeln bauen ab (Stichwort: Dekonditionierung). Außerdem wirkt sich ausgewogene körperliche Aktivität positiv auf Herz und Kreislauf, auf das Immunsystem, den Schlaf, die Stimmung, etc. aus.

Ich denke aber auch, dass man Bewegung nicht erzwingen darf. Wenn der Körper sagt: Nein, ich brauche Ruhe, um mich zu erholen, dann sollte man auf ihn hören. Signalisiert der Körper: Ich könnte ein bisschen Bewegung vertragen, dann darf man auch körperlich aktiv sein.

Auf keinen Fall würde ich ein von Ärzten verordnetes Bewegungsprogramm durchziehen, bei dem man am besten wöchentlich mehr macht und irgendwelche Ziele erfüllen soll (Stichwort: Graded Exercise Therapy). Ich habe in dieser Hinsicht viel falsch gemacht und mir geschadet. Es ist viel sinnvoller, auf den Körper zu hören und sich sehr vorsichtig und behutsam an Bewegung heranzutasten. Traut man sich etwas mehr zu, testet man die Grenzen aus. Verträgt man sie, wunderbar. War es zu viel, macht man wieder weniger. Geht sogar etwas mehr, umso besser. So lässt sich über Wochen oder Monate der Bewegungsradius ausdehnen. Sehr hilfreich ist dabei ein Schrittzähler und Pulsmessgerät.

Außerdem extrem wichtig: Bewegung darf nicht stressen, man darf sie nicht in einem verkrampften, ängstlichen Zustand mit einem inneren Widerstand ausüben. Das bringt das Nervensystem nur noch mehr aus der Balance. Rückblickend wäre ich in Sachen Bewegung vielleicht schon weiter, wenn ich mich erst auf das Nervensystem konzentriert hätte und mich dann Stück für Stück an körperliche Aktivität herangetastet hätte.

Wie könnte Bewegung für dich aussehen?

Du musst für dich definieren, was Bewegung ist. Was kannst du dir jetzt in deinem jetzigen Zustand vorstellen? Was ist möglich? Bewegung heißt nicht: Joggen, Radfahren, Wandern, Fitnessstudio, Hanteln stemmen. Bewegung ist so viel mehr. Kannst du vielleicht im Liegen jeden Tag ein paar leichte Dehnübungen machen? Ist ab und zu ein kleiner Spaziergang möglich? Geht etwas Yoga? Kannst du mit dem rechten und linken Arm ein paar Mal ein Glas oder eine kleine Wasserflasche hochheben? Kannst du deinen Körper ausstreichen, die Beine mal hochheben? Oder geht sogar Radfahren, Schwimmen oder ein paar Minuten auf einer Vibrationsplatte?

Es gibt so viele Möglichkeiten, sich zu bewegen und so ein bisschen Herz, Kreislauf und Lymphe anzuregen, dem Organismus Sauerstoff zu geben. Auch an dieser Stelle empfehle ich wieder einen Fitnesstracker, um den Puls im Blick zu behalten. Miss deine Herzfrequenz im Liegen, Sitzen, Stehen, beim Gehen, beim Aufstehen vom Klo, beim Essen zubereiten, etc. So erkennst du, was wie anstrengend ist. In der Strategie Pacing findest du Links zu Seiten, die erklären, wie du am besten mit den Fitnesstrackern umgehst.

Bewegungsintoleranz und Kreislaufprobleme: Was tun?

Menschen mit ME/CFS, POTS, Ehlers-Danlos-Syndrom oder anderen Fehlfunktionen des autonomen Nervensystems (Dysautonomien) haben oft Beschwerden, wenn sie aufrecht stehen. Das beeinträchtigt auch die Fähigkeit, ohne Probleme zu gehen. Plötzlich treten Schwindel, Schwarzwerden vor den Augen, Übelkeit, Herzrasen und Zittern auf. Auch bei Long-Covid wurde das bereits beobachtet.

Das liegt wohl unter anderem daran, dass sich der Blutdruck beim Aufstehen nicht richtig anpassen kann. Das Blut versackt in den Beinen und im Bauchraum. Außerdem scheint zu wenig Sauerstoff im Blut zu sein.

Die Organisation Dysautonomia International empfiehlt folgende Schritte (am besten in Absprache mit Arzt oder Ärztin sowie Physiotherapeuten):

  • Im Liegen spezielle Übungen machen, die den Blutfluss fördern
  • Dann Rudern mit Rudergerät, Radfahren auf einem speziellen Rad oder Heimtrainer, Schwimmen, Kraftübungen für Waden und Oberschenkel, am besten mit einem Pulsmessgerät
  • Dann Spazierengehen, Radeln, Laufen – was möglich ist

Mehr Infos:
https://www.dysautonomiainternational.org/page.php?ID=43

https://drive.google.com/file/d/1t7sWyUKnZHgxgENl6SB9vVPb5thZZ98r/view

Mir persönlich hat es geholfen, Stützstrümpfe zu tragen. Ein Fitnesstracker hat mir auch lange sehr geholfen. Und wenn ich im Stehen plötzlich Symptome hatte, dann habe ich die Beine überkreuzt und die Finger ineinander verhakt und alles angespannt. Das fördert den Blutfluss. Hatte mir ein Kardiologe empfohlen, bei dem ich den Kipptischtest habe machen lassen. Oder: Die Arme nach oben schwingen und zur Seite und dann festhalten und die Beine nach vorne und hinten schwingen oder aufstehen, stehen bleiben, den ganzen Körper kurz anspannen.

schlaf

Warum Schlaf so wichtig ist

Unser Schlaf gliedert sich in verschiedene Stadien, mal schlafen wir leichter, mal richtig tief, mal bewegen sich unsere Augen (REM-Schlaf), mal nicht (Non-REM-Schlaf). Ungefähr alle 90 Minuten haben wir einmal alle Phasen durchlaufen. Danach wachen wir kurz auf, ob wir das merken oder nicht. Der Tiefschlaf scheint für unsere Erholung besonders wichtig zu sein und findet wohl in den ersten vier bis fünf Schlafstunden statt. Danach beginnen wir uns vermehrt hin und her zu wälzen.

Im Schlaf schaltet ein Teil unserer Körpersysteme auf den Pausenknopf, um sich zu regenerieren. Aber nicht alle. Manche sind hochaktiv, zum Beispiel das Gehirn. Auch die Verdauung läuft auf Hochtouren, die Leber entgiftet, Hormone werden gebildet, Zellen erneuern sich, das Immunsystem bekämpft Krankheitserreger.

12 Stunden Schlaf und trotzdem erschöpft?

Menschen mit chronischer Erschöpfung kennen das: Sie schlafen 12 Stunden, stehen auf und fühlen sich wie tot. Null erholt, als hätten sie bis morgens um 4 Uhr gefeiert oder Schlaftabletten mit Alkohol (sehr gefährlich!) genommen. Um 10 Uhr könnten sie sich schon wieder hinlegen, mittags und nachmittags sowieso, um 20 Uhr kriechen sie wieder ins Bett. Das ist das Schlimme an Fatigue: Schlaf erholt einem nicht.

Studien weisen darauf hin, dass eine Entzündung im Gehirn dabei eine Rolle spielen könnte, ebenso können die Schlafphasen gestört sein. Bei einigen Menschen wird abends und nachts fälschlicherweise zu viel unseres körpereigenen Stresshormons Cortisol gebildet. Morgens dagegen, wo es uns wach machen soll, ist zu wenig Cortisol da. Auch ein verlangsamter Abbau des Schlafhormons Melatonin kann einem morgens schlaftrunken machen. Teilweise spielt unsere innere Uhr verrückt und eine Fehlregulation des autonomen Nervensystems bringt unseren Schlaf ebenfalls durcheinander.

Dann gibt es da noch das glymphatische System. Unser ganzer Körper wird vom lymphatischen System durchzogen. Es ist Teil des Immunsystems, transportiert Nährstoffe, führt Gewebsflüssigkeit dem Blutkreislauf zu und entledigt den Organismus von Giftstoffen. Das Gehirn hat auch ein solches System – das glymphatische System. Unser Gehirn, die Nervenzellen und die Immunzellen im Gehirn, die Glia, verbrauchen sehr viel Energie. Dabei entstehen auch viele Giftstoffe und Zellmüll, die entsorgt werden müssen. Das übernimmt unter anderem das glymphatische System. Ist es in seiner Funktion eingeschränkt, zum Beispiel durch Schlafstörungen, kann man sich morgens fühlen, als hätte man Alzheimer.

Wie du deinen Schlaf verbessern kannst

Genauso wie es fast unendlich viele Ursachen für schlechte Nächte gibt, stehen auch fast unendlich viele mögliche Lösungen parat. Auch hier gilt: Werde zum Detektiv und finde heraus, was dir hilft. Es ist für Menschen mit Fatigue extrem wichtig, zu erholsamerem Schlaf zu finden!

Einige Beispiele, die den Schlaf positiv beeinflussen können:

  • Koffein: Verzichte entweder komplett auf alles, was Koffein enthält, oder schränke es deutlich ein (vor allem ab nachmittags) und beobachte ein paar Wochen die potenziellen Auswirkungen. Der Wachmacher Koffein steckt nicht nur in Kaffee, sondern auch in Schwarz- und Grüntee und Kakao.
  • Tag-Nacht-Rhythmus: Gönne dir, wenn du aufsteht, so früh wie möglich etwas Tageslicht oder nutze eine Tageslichtlampe. Das signalisiert deinem Organismus: Hey, es ist Tag, Zeit die Körpersysteme anzupassen. Auch tagsüber solltest du immer wieder etwas Sonnenlicht abkriegen. Abends ist es dagegen sinnvoll, auf grelles Licht mit viel Blauanteil zu verzichten. Also Lampen dimmen oder Kerzen anzünden, bei Bildschirmen den Blaufilter aktivieren und am besten insgesamt auf „Bildschirmarbeit“ verzichten. Das Schlafzimmer sollte so dunkel wie möglich sein. Zur Not hilft auch eine Schlafbrille. So merkt der Körper: Ah, es wird dunkel, Zeit, sich auf das Schlafengehen einzustellen.
  • Ruhe: Um den Körper in den Ruhe- und Schlafmodus zu bringen, muss man den beruhigenden Teil des Nervensystems anregen, den Parasympathikus. Kontraproduktiv sind deshalb aufregende Filme, Nachrichten, Streit, Sport. Hilfreicher ist ein entspannendes Buch, ruhige Musik, milde Wärmeanwendungen, eine nette Konversation.
  • Verdauung: Ein riesiges Thema! Bezogen auf den Schlaf ist es zum Beispiel wichtig, nicht zu spät und zu viel am Abend zu essen. Probiere aus, was dir am besten bekommt. Überlege, ob ein Salat oder andere Rohkost kein Problem ist, oder dein Verdauungstrakt danach arbeitet – eventuell die ganze Nacht. Sind Kohlenhydrate zum Abendessen gut für dich oder gehst du mit einem „Nudelbauch“ ins Bett?
  • Sorgen und Ängste: Auch großes Thema! Unsere Gedanken hindern uns oft daran, einzuschlafen, lassen uns nachts aufwachen und dann nicht mehr in den Schlaf finden. Auch hier muss jeder selbst seine besten Strategien finden. Ob das Meditieren ist, eine Atemübung, ein Tagebucheintrag, EFT-Tapping oder was auch immer. Aus meiner Sicht ist es in jedem Fall wichtig, sich nicht mit den Schlafproblemen zu stressen! Das macht alles nur noch schlimmer.

 

pacing

Was ist Pacing?

Pacing bedeutet soviel wie: Kenne dein tägliches Energielimit. Teile dir deine Aktivitäten so ein, dass du möglichst nicht mehr Energie verbrauchst wie du an einem Tag zur Verfügung hast.

Pacing ist eigentlich für jeden Menschen sinnvoll. Es hilft, sich nicht zu überlasten und abends dann erschöpft auf der Couch zu liegen. Stattdessen teilt man sich seinen Tag so ein, dass immer ausreichend Energie da ist. Gesunde Menschen dürfen ihr Energielimit natürlich auch mal überschreiten, zum Beispiel durch eine lange Wanderung, einen anstrengenden Vortrag in der Arbeit oder ausgiebige Gartenarbeit. Doch auch sie sollten dann auf ihren Körper hören und sich nach der Anstrengung eine Pause gönnen.

Wer chronisch krank ist oder einen Infekt hat, dem steht oft weniger Energie zur Verfügung als einem Gesunden. Denn die Krankheit oder der Infekt kosten Kraft. Wer aufgrund einer Erkrankung an Erschöpfung leidet, hat nur sehr eingeschränkte Energiereserven. Hier wird Pacing richtig wichtig. Und für Menschen mit ME/CFS ist es noch wichtiger, denn es hilft, die gefürchtete Post Exertional Malaise (PEM) zu verhindern – die Zustandsverschlechterung nach übermäßiger Aktivität.

Was Pacing kann, was es nicht kann

Pacing ist ein Coping-Mechanismus. Ein Werkzeug, um die überwältigende Erschöpfung besser in den Griff zu bekommen. Den Zustand etwas zu stabilisieren, das Leben ein kleines bisschen vorhersagbarer zu machen, den Alltag besser zu bewältigen. Mir hat Pacing geholfen, die ständige Verschlechterung meines Zustands auszubremsen.
Man lernt mit dieser Methode, typische Trigger zu erkennen, die viel Energie kosten und einem besonders erschöpfen. Die kann man dann vermeiden oder sich gut einteilen. Mithilfe des Pacings habe ich auch gelernt, konsequent Pausen einzulegen und mich aufmerksam zu beobachten.

Pacing ist jedoch kein Heilmittel. Man kann sich nicht gesund pacen. Problematisch war für mich zum Beispiel, dass ich immer mehr Trigger erkannte und immer mehr Dinge vermieden habe. Ich habe mein Leben immer weiter eingeschränkt. Ich dachte, wenn ich nur genug ausruhe, schlafe und liege, dann hören auch endlich diese verfluchten Symptome auf. War aber nicht so.

Irgendwann kam für mich der Zeitpunkt, und das steht auch in den Quellen, die ich unten verlinkt habe, mich wieder etwas weniger einzuschränken. Sehr behutsam, mit sehr viel Geduld, in Babyschritten, habe ich versucht, meinen Radius wieder etwas zu erweitern. Die Grenzen auszutesten, dabei immer wieder auf die Nase zu fallen. Ich habe gelernt: Ich kann wieder mehr machen, mir mehr zutrauen, wenn ich sehr gut auf meinen Körper höre, wenn ich das, was ich mache, so entspannt wie möglich mache, extrem langsam, mit Pausen. Kombiniert man Pacing mit vielen anderen kleinen Strategien, kann es aus meiner Sicht tatsächlich zur Genesung beitragen.

Was kostet Energie?

Als gesunder Mensch denkt man in erster Linie, dass körperliche Aktivität Energie kostet. Das stimmt auch. Sport machen zum Beispiel. In Wirklichkeit kostet aber jegliche Bewegung Energie. Etwa: Stehen, sitzen, liegen, im Bett umdrehen, einen Arm heben oder ein Glas Wasser trinken, zum Klo gehen, duschen.

Auch geistig verbrennt man eine Menge Energie. Reden, lesen, telefonieren, fernsehen, Auto fahren, arbeiten, sich um die Familie kümmern.

Emotionen und Gefühle können mehr Kraft kosten, als man sich vorstellt. Jeder Streit, jeder Aufreger, Traurigkeit, Angst, Lachen, eine Hochzeit. All das verbrennt Energie.

Auch Umweltreize wie Geräusche und Licht, das Wetter fordern den Organismus und gehen auf das Energiekonto.

Manche Tätigkeiten fordern einem körperlich, geistig und emotional zugleich (bei mir zum Beispiel Arzttermine). Und Stress ist einer der größten Energieräuber überhaupt.

Die ersten Schritte

Das Wichtigste ist zunächst: den Status quo ermitteln. Was machst du alles an einem typischen Tag? Körperlich, geistig, emotional. Wie lange? Wie sehr strengt dich eine Tätigkeit an? Gibt es Sachen, die dich besonders erschöpfen? Das bedeutet: Man muss sich sehr genau beobachten, aufmerksam wahrnehmen.

Dabei kann ein Aktivitätsprotokoll unheimlich helfen. Ich habe zum Beispiel notiert, wie viele Stunden ich täglich irgendeiner Aktivität nachgegangen bin und wie viele Stunden ich im Bett oder auf der Couch lag. Ich habe aufgeschrieben, wie lange ich etwas am Stück gemacht habe, welche Symptome ich hatte, was ich gegessen hatte, wie anstrengend etwas war, wie ich meine Akkuleistung eingeschätzt habe.

Ein Fitnesstracker hat mir sehr dabei geholfen, meine täglichen Schritte zu erfassen und meinen Puls zu kontrollieren. Denn: Je höher der Puls, desto anstrengender die Aktivität. Oft habe ich nicht wirklich wahrgenommen, wie sehr mich etwas angestrengt hat. Der Blick auf den Tracker hat mich dann aufgeschreckt. Ich habe mir  eine Obergrenze für den Puls eingestellt, die ich so selten wie möglich überschreiten wollte. Auch habe ich mir eine maximale Schrittzahl pro Tag eingestellt. Wenn der Tracker also happy war, weil ich seine aus seiner Sicht niedrigste Schrittzahl erreicht hatte, wusste ich: okay, mach langsam, stopp, aufhören.

Wie man seinen individuellen Puls findet, um sich nicht zu überlasten? Sehr schwierig. Diese Seiten waren für mich sehr hilfreich:
http://www.cfsselfhelp.org/library/pacing-numbers-using-your-heart-rate-to-stay-inside-energy-envelope

http://www.cfsselfhelp.org/library/topic/pacing

https://workwellfoundation.org/wp-content/uploads/2021/03/HRM-Factsheet.pdf

Finde deine Komfortzone

Egal ob ME/CFS, Depression, POTS oder Reizdarm: Alle Krankheiten, die mit Erschöpfung einhergehen, schränken einem im Alltag deutlich ein. Um das Beste daraus zu machen, hilft Planen, Prioritäten setzen, Hilfe annehmen.

Planen: Was steht diese Woche alles an? Was kostet besonders viel Energie? Was weniger? Zu welcher Tageszeit hast du mehr oder weniger Energie? Teile dir dementsprechend die Woche ein – so gut es geht. Routinen helfen, Energie zu sparen, weil du so weniger Denkarbeit leisten musst.

Prioritäten setzen: Was ist heute am Wichtigsten? Was kann warten? Musst du heute die Wäsche waschen oder geht das auch morgen? Reicht eventuell auch dreimal die Woche duschen? Wie kannst du Aktivitäten in kleine Einheiten unterteilen?

Hilfe annehmen: Sei ehrlich zu dir. Es gibt Tätigkeiten, die muss man machen, aber sie kosten viel Kraft. Wer kann sie dir zumindest zeitweise abnehmen? Wer kann für dich Einkaufen gehen? Dir beim Putzen helfen? Die Briefe zur Post bringen? Dich zum Arzt fahren? Hier muss man wirklich über seinen Schatten springen und sich trauen, nach Hilfe zu fragen. So hat man mehr Zeit, sich auszuruhen und sich mit seiner Genesung zu beschäftigen. Und da haben letztendlich alle was davon!

 

Und irgendwann heißt es dann: Raus aus der Komfortzone!

stress-management

Warum ist Stress-Management aus meiner Sicht wichtig? Weil Körper-Geist-Syndrome wie ME/CFS, Fibromyalgie, Long Covid, Burnout,etc. Stressfolgeerkrankungen sind. Sie sind die Folge von belastenden Kindheitserlebnissen, Traumata und chronischem Stress.

Die wichtigsten Tipps, um Alltagsstress besser zu bewältigen:

  • Finde die größten Stressfaktoren in deinem Leben heraus  - beruflich, privat, in deinem Umfeld, in dir selbst und überlege, welche du abschalten kannst
  • Finde innere und äußere Ressourcen, die dir bei Stress helfen, die Nerven zu bewahren und das Gefühl zu bekommen: ich kann das bewältigen
  • Sind unlösbare Probleme wirklich unlösbar? Geh das Problem Schritt für Schritt durch, Vor- und Nachteile, warum ist es ein Problem, warum belastet es dich, was steckt dahinter, was kannst du dagegen tun, wer kann dir helfen?
  • Kannst du bestimmte Situationen anders bewerten?
  • Was sind die größten Zeitfresser in deinem Leben?
  • Wo kannst du Verantwortung abgeben und Hilfe annehmen?
  • Aufgaben priorisieren nach Dringlichkeit und Wichtigkeit
  • Was ist wirklich wichtig in deinem Leben? Welche Werte sind dir wichtig?
  • Sorge für ausreichend Entspannung und Zeit für dich

PS: Natürlich recherchiere und kontrolliere ich alles, was ich hier schreibe, so gut wie möglich. Trotzdem bin ich auch nur ein Mensch und mache Fehler. Außerdem ziehe ich vielleicht ganz andere Schlüsse wie es jemand anders tun würde. Einfach weil sie zu meiner Geschichte passen. Doch jede Geschichte ist anders.

Wichtig: Die Inhalte auf dieser Seite dienen nur zu Informationszwecken und ersetzen nicht das Gespräch mit Ärztin, Arzt oder anderen Therapeuten. Die Inhalte spiegeln meine persönlichen Erfahrungen, Recherchen und Erkenntnisse wider, die mir geholfen haben und die ich deshalb teilen möchte. In Ihrem persönlichen Fall können jedoch ganz andere Sachen eine Rolle spielen und andere Dinge helfen. Bitte sprechen Sie mit Ihrer Ärztin, Ihrem Arzt oder Therapeuten, bevor Sie Entscheidungen treffen, die Ihre körperliche oder mentale Gesundheit betreffen. Auch wichtig: Ich möchte hier niemand von etwas überzeugen. Vielmehr möchte ich mögliche Wege aufzeigen, die hoffentlich einigen Menschen helfen können, ihr ME/CFS oder andere Syndrome zu verbessern oder zu überwinden.

 

Quellen

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SM Zick et al: Fatigue reduction diet in breast cancer survivors: a pilot randomized clinical trial. Breast Cancer res treat 2017

U Haß et al: Anti-Inflammatory Diets and Fatigue. Nutrients 2019

G Bjorklund et al: Chronic fatigue syndrome (CFS): Suggestions for a nutritional treatment in the therapeutic approach. Biomed Pharmacotherap 2019


N Campagnolo et al: Dietary and nutrition interventions for the therapeutic treatment of chronic fatigue syndrome/myalgic encephalomyelitis: a systematic review. J Hum Nutr Diet 2017
Alex Howard: Decode your fatigue

Prof. Georg Hasler: Die Darm-Hirn-Connection

Zaiss MM et al: The gut–joint axis in rheumatoid arthritis. Rheumatology 2021

Sofia K. Forslund: Combinatorial, additive and dose-dependent drug microbiome associations. Nature 2021

Ghali, A., Richa, P., Lacout, C. et al. Epidemiological and clinical factors associated with post-exertional malaise severity in patients with myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome. J Transl Med 2020

Dr. Anne Fleck: Energy

Prof. Martin Storr: Sofortratgeber Leaky Gut

Simpson CA, Diaz-Arteche C, Eliby D, Schwartz OS, Simmons JG, Cowan CSM. The gut microbiota in anxiety and depression - A systematic review. Clin Psychol Rev. 2021

Dr. Terry Wahls: MS erfolgreich behandeln

Podcast: Unbiased Science – Leaky gut misconceptions

Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) 2021

Detlef Schuppan, Kristin Gisbert-Schuppan: Tägliches Brot – Krank durch Weizen, Gluten und ATI

 

Jürgen Zulley: Schlafkunde

Shawn Stevenson: Sleep smarter

Morris G et al: The putative role of oxidative stress and inflammation in the pathophysiology of sleep dysfunction across neuropsychiatric disorders: Focus on chronic fatigue syndrome, bipolar disorder and multiple sclerosis. Sleep Med Rev 2018

A Komaroff: Does sleep flush waste from the brain? JAMA 2021

 

ME Awareness NZ: The Art and Science of Pacing. Online: https://m.e.awareness.nz/a-guide-to-pacing-for-pwme

Stanford University: PEM-Avoidance-Toolkit. Online: https://www.omf.ngo/pem-avoidance-toolkit/

Action for ME: Pacing for People with ME. Online: https://www.actionforme.org.uk/get-information/managing-your-symptoms/pacing-and-energy-management/

ME Action: Pacing and Management for ME/CFS. Online: https://www.meaction.net/wp-content/uploads/2020/10/Pacing-and-Management-Guide-for-ME_CFS-8.pdf

Emerge AU: Stop, rest, pace. Online: https://www.emerge.org.au/stop-rest-pace

Royal College of Occupational Therapists: How to conserve your energy. Online: https://www.rcot.co.uk/conserving-energy