Dr. Martina Melzer, aktualisiert: 19.09.2025

 

Wichtige Hinweise vorab:

  • Bei sogenannten Mind-Body-Syndromen (oder auch neuroplastischen Störungen) finden sich in Spezialuntersuchungen zwar oft Auffälligkeiten, es kommt aber normalerweise zu keinen anhaltenden Organ- oder Gewebeschäden.
  • Neue Symptome immer gründlich ärztlich abklären lassen. Es kann ein Mind-Body-Syndrom dahinterstecken, aber auch eine andere Krankheit, oder es ist eine Kombination aus beidem.

Mind-Body-Syndrome und -Symptome: Warum dein Gehirn dahinter steckt

Dieser Text und das Video entstammen dem Mind-Body-Balance Programm in gekürzter Version.

 

Was sind Mind-Body-Syndrome und -Symptome?

Bei dieser Art von Syndromen und Symptomen besteht eine Kommunikationsstörung zwischen Gehirn und Körper.

Die in vielen Studien und speziellen Diagnoseverfahren festgestellten Auffälligkeiten im Körper und Gehirn sind Folge dieser Störung. Sie bedeuten jedoch nicht, dass es zu dauerhaften Organ- oder Gewebeschäden bzw. degenerativen Prozessen kommt, die sich nicht mehr verändern lassen. 

Stattdessen erholt sich der Organismus vielfach davon – wenn die Selbstheilungskräfte aktiviert werden und die Kommunikationsstörung behoben wird. 

Die gefundenen Auffälligkeiten sind nach derzeitigem Wissensstand nicht spezifisch für diese Erkrankungen bzw. erklären nicht zwingend die anhaltenden Beschwerden. 

 

Begriffe

Diese Art von Erkrankungen werden unter anderem als „Mind-Body-Syndrom“, „neuroplastische Erkrankung / Symptom“ (etwa „neuroplastischer Schmerz“), „funktionelle Erkrankung / Körperbeschwerden / Störung“, „Somatic Symptom Disorder“, „dysreguliertes autonomes Nervensystem“, „Dysautonomie“, „psychophysiologische Erkrankung“, „persistent somatic symptoms“, etc. bezeichnet.

Ich habe den Begriff „Mind-Body-Syndrom“ von (Prof. emeritus) Dr. Howard Schubiner, dem Mind-Body-Spezialist und Internist aus den USA, übernommen, weil ich ihn greifbar und verständlich finde.

 

Beispiele für Mind-Body-Syndrome und -Symptome

ME/CFS 


Long Covid / Post-Covid-Syndrom 


Fibromyalgie-Syndrom 


Reizdarmsyndrom 


Multichemikaliensensitivität 


POTS 


Post-Vakzin-Syndrom 


Chronische Borreliose (PTLDS)


Burnout 


Chronische Schmerzen (z.B. Rücken- oder Kopfschmerzen, Migräne, Beckenbodenschmerzen) ohne organische oder strukturelle Ursachen bzw. die sich trotz Behandlung dieser Ursachen nicht bessern

 
Die Dysautonomie-Komponente bei MCAS und EDS 

 

Was steckt hinter Mind-Body-Syndromen und -Symptomen?

Wie bereits erwähnt, handelt es sich um eine Kommunikationsstörung zwischen Gehirn und Körper.

Was heißt das genau?

Unser Gehirn ist eine Vorhersagemaschine. 

Es macht ständig Vorhersagen, was als Nächstes „außen“ und „innen“ passiert. Das nennt man „Predictive Processing“. Kommen dann die Reize im Gehirn an, gleicht es diese mit seiner Vorhersage und gespeicherten Erfahrungen ab. Ist alles wie erwartet (und wie immer), freut sich das Gehirn, denn es hat so eine Menge Energie gespart und geht nicht in den Millionen von einströmenden täglichen Reizen unter. 

Stimmt der eintrudelnde Reiz nicht mit der Erwartung überein, merkt das Gehirn „hoppla, da stimmt was nicht“. Das ist der „Prediction Error“. Es muss nun seine Aufmerksamkeit und Energie auf den Reiz lenken und seine Vorhersage updaten. So hält es den Vorhersagefehler so gering wie möglich. Es speichert diese neue Erfahrung ab, um die Situation das nächste Mal besser vorhersagen zu können. So geht Neuroplastizität – also die Fähigkeit des Gehirns, sich anzupassen, Neues zu lernen und Altes zu verlernen.

Ein Beispiel: Du gehst aus der U-Bahn heraus und nimmst die Rolltreppe. Dein Gehirn sagt voraus, dass die Rolltreppe aktiv ist – wie immer halt. Plötzlich steht sie aber und du stolperst. Der Vorhersagefehler. Das Gehirn speichert nun ab: Okay, Rolltreppe KANN aktiv sein ODER still stehen. Das nächste Mal schaust du die Rolltreppe an, bevor du blindlings darauf gehst.

Was bedeutet das für deine Mind-Body-Symptome?

Unser Gehirn macht nicht nur permanent Vorhersagen über hereinkommende Reize, sondern bewertet auch, ob diese „sicher“ oder „gefährlich“ sind – basierend auf abgespeicherten Erfahrungen. Ein von der Norm abweichendes Körpersignal ist ein „Vorhersagefehler“ und potenziell „gefährlich“. Das Gehirn gleicht nun seine Datenbank ab und schaut nach, was dieser Reiz schon mal bedeutet hat. War schon mal Ausdruck einer Infektion? Einer Verletzung? Ähnelt einem vergangenen traumatischen Erlebnis? Stand im Zusammenhang mit einem sozialen Konflikt? Okay, ist „gefährlich“, ist ein „Symptom“. 

Das Gehirn wird nun in den Alarmmodus versetzt und es werden zahlreiche biochemische Reaktionen und physiologische Veränderungen ausgelöst. Das autonome Nervensystem wird in den Überlebensmodus versetzt, und je nach Situation das Immunsystem, das Hormonsystem, das Herz-Kreislauf-System, das Muskel-Faszien-Gewebe, der Energiemetabolismus, das Darmmikrobiom und die psycho-emotionale Verfassung verändert.

Das sind die ganzen Symptome, die du spürst und die Verhaltensänderungen, die du automatisch vornimmst: Du legst dich ins Bett, schonst den Fuß, ziehst dich zurück, etc. Es ist der Weg deines Gehirns, mit dir zu kommunizieren, dir zu sagen, da ist Gefahr, verhalte dich entsprechend. 

Je mehr dein Gehirn vor dem auslösenden Ereignis deiner Erkrankung (Infekt, stressige Lebensphase, traumatisches Ereignis) schon im Alarmmodus war, desto wahrscheinlicher kommt es zu Mind-Body-Syndromen und -Symptomen. Dein Gehirn hält die Symptome aufrecht, weil es weiter im Alarmmodus ist bzw. diesen ständig wieder aktiviert. Auch wenn sich der Körper längst wieder von der Infektion erholt hat. Auch wenn die Verletzung schon lange verheilt oder das traumatische Ereignis schon lange vergangen ist. 

 

Faktoren, die das Gehirn empfindlicher für den Alarmmodus machen

  • Stress
  • Traumata
  • Belastende Kindheitserlebnisse
  • Des Weiteren: Genetische Faktoren, Depression, Angststörung

 

Aufrechterhaltende Faktoren

  • Angst vor den Symptomen und einer Zustandsverschlechterung
  • Fokus auf deine Symptome
  • Frust, Verzweiflung und Enttäuschung
  • Kämpfen gegen deine Symptome
  • Symptome in den Griff kriegen
  • Zweifel
  • Hilflosigkeit gegenüber den Symptomen und dem aktuellen Zustand
  • Katastrophisieren
  • Immer mehr Dinge vermeiden (soziale und körperliche Aktivitäten)
  • Negative Erwartungshaltung
  • Innere und äußere Stressoren 
  • Unterdrücken von Emotionen


Merke dir: Symptom – Angst, Frust, etc.  - Stress, Alarmmodus – Symptom – Angst, etc. - Stress, Alarmmodus – Symptom, usw. Das ist die, wie ich es nenne, „negative Feedbackschleife in deinem Gehirn“. 

Wichtig: Du bist nicht schuld daran, dass diese gedanklichen und emotionalen Faktoren die Symptome aufrechterhalten. Du bist auch nicht verantwortlich dafür. Das Ganze ist keine bewusste Entscheidung, sondern passiert unter unserem Radar. 

 

Die gute Nachricht

Die gute Nachricht ist: Das Ganze ist reversibel! Genauso wie dein Gehirn die Symptome „gelernt“ hat, kann es diese auch wieder „verlernen“.

 

Wichtig: Die Aussagen in diesem Text sind das Ergebnis meiner Recherchen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, Fachartikeln, Büchern, Kursen, Aus- und Weiterbildungen sowie meines eigenen Genesungsprozesses. Ich habe bestmöglich recherchiert, erhebe aber dennoch keinen Anspruch auf Richtigkeit. In der Wissenschaft gilt etwas solange als Hypothese, bis es eindeutig belegt (oder widerlegt) ist. Das ist dann Evidenz, ein Fakt. Die Aussagen in diesem Text sind eine Kombination aus Hypothesen und Fakten.
 
Die Inhalte auf dieser Seite dienen außerdem nur zu Informationszwecken und ersetzen nicht das Gespräch mit Ärztin, Arzt oder anderen Therapeuten. Bitte sprich mit deiner Ärztin, deinem Arzt oder Therapeuten, bevor du Entscheidungen triffst, die deine körperliche oder mentale Gesundheit betreffen. Jeder Weg in ein Mind-Body-Syndrom ist etwas Individuelles, und jeder Weg heraus.