Dr. Martina Melzer, veröffentlicht: 4.8.25
Wichtige Hinweise vorab:
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Was macht der Vagusnerv überhaupt?
Der Vagusnerv ist der zehnte Gehirnnerv und wandert vom Gehirn kommend entlang des Halses, durch den Brustkorb bis in den Bauch. Seine Nervenfasern docken an den
inneren Organen und anderen Geweben an.
Der Vagusnerv ist der Hauptnerv des Parasympathikus und damit Teil des autonomen Nervensystems. Zusammen mit dem Sympathikus reguliert und steuert er viele wichtige Körperfunktionen. Während der
Sympathikus meist aktivierend wirkt und die Stressreaktion anstößt, löst der Vagusnerv die Entspannungsreaktion aus und beruhigt eher.
Über den Vagusnerv gelangen zahlreiche Informationen aus dem Körper ins Hirn – 80 Prozent der Sinnesreize aus unserem Inneren schickt der Nerv ans Gehirn, nur 20 Prozent gelangen über ihn aus dem
Hirn in den Körper.
Kurzer Exkurs: Polyvagaltheorie
Gemäß der Polyvagaltheorie gibt es zwei Teile des Vagusnervs, die unterschiedliche Aufgaben haben. Ist unser Nervensystem in einem gesunden Zustand, ist der sogenannte ventrale Vagus aktiv, der für soziale Aktivität, Verbundenheit und Sicherheit steht. Empfinden wir Gefahr, springt zunächst der Sympathikus in den Kampf- und Fluchtmodus. Können wir nicht kämpfen oder fliehen, erstarren wir oder gehen in einen Abschaltmodus. Das macht der sogenannte dorsale Vagus. Dieser sorgt aber auch für gute Verdauung und Schlaf, wenn er in seinem gesunden Zustand ist. Mehr zur Polyvagal-Theorie findest du hier.
Warum ist der Vagusnerv bei Mind-Body-Syndromen wichtig?
Nach meinem Verständnis sind Mind-Body-Syndrome bzw. neuroplastische Erkrankungen wie ME/CFS, Long
Covid, Postvac, POTS, Fibromyalgie und Reizdarm Stressfolgeerscheinungen. Bestimmte Nervennetzwerke im Gehirn funktionieren nicht so wie sie sollen, das autonome Nervensystem wird ständig in den
Stresszustand, den Überlebensmodus versetzt. Und das macht die ganzen Symptome. Überlebensmodus bedeutet: Der Sympathikus ist im Kampf- und Fluchtmodus und/oder der dorsale Teil des Vagusnervs
löst die Erstarrung oder den Abschaltmodus aus.
Das langfristige Ziel ist, wieder ein besseres Gleichgewicht im autonomen Nervensystem herzustellen und die fehlgeleiteten Nervennetzwerke im Gehirn wieder herunterzuregulieren. Und dabei ist es
wichtig, den Vagusnerv in seinen gesunden Modus zu bringen, ebenso wie den Sympathikus. Gelingt das, regst du die Selbstheilungskräfte deines Körpers an. Entzündungen lassen nach, du schläfst
ruhiger, die Verdauung funktioniert besser, Psyche, Immunsystem, Hormonsystem, Emotionen und Gedanken werden positiv beeinflusst, du hast wieder mehr Energie und verbindest dich mit anderen
Menschen.
Helfen Vagusnervübungen?
Es ist wissenschaftlich nicht gesichert, ob die ganzen Vagusnervübungen wirklich helfen, und vermutlich wurden auch einfach nicht alle Techniken untersucht. Die
beste Studienlage gibt es wohl zu Atemtechniken. Wenn du deinen Vagusnerv also mit Atmung beeinflussen willst, bist du auf der sicheren Seite. Jede Einatmung aktiviert den Sympathikus und jede
Ausatmung den Parasympathikus, also den Vagusnerv. Verlängerst du die Ausatmung und atmest bewusst durch den Bauchraum, also über das Zwerchfell, dann aktivierst du den Vagusnerv. Auch das
Erzeugen bestimmter Töne, Massieren des seitlichen Halses, Reiben an bestimmten Stellen des Ohrs, Lachen und vermutlich 100 andere Wege können den Nerv anregen – wie gesagt, das ist nicht immer
wissenschaftlich untersucht worden. Aber probiere doch einfach, ob es dich beruhigt!
Du findest auch auf meinem Youtube-Kanal Vagusnervübungen!
Was ist mit Vagusnervstimulatoren?
Solche Geräte können helfen, ich persönlich würde aber Vagusnervübungen bevorzugen und insgesamt schauen, was ich alles tun kann, um mein Nervensystem wieder in
eine bessere Balance zu bringen.
Bei günstigen Vagusnervstimulatoren, die man im Internet oder im Handel kaufen kann, fehlt oft eine medizinische Überprüfung des Geräts. Es ist daher nicht sicher, ob die Geräte halten, was sie
versprechen. Wurde die Wirksamkeit des Vagusnervstimulators in Studien überprüft, kostet er auch gleich deutlich mehr. Des Weiteren solltest du dich schlau machen, mit welcher Technik der
Vagusnerv stimuliert wird, wie die Anwendung meist vertragen wird und ob in deinem Fall aus medizinischen Gründen etwas gegen den Einsatz spricht. Weil du zum Beispiel bestimmte Herzprobleme hast
oder einen sehr sensitiven Vagusnerv. Idealerweise kannst du vorher mit einem Arzt oder einer Ärztin darüber sprechen.
Wichtig: Die Aussagen in diesem Text sind das Ergebnis meiner Recherchen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, Fachartikeln, Büchern, Kursen, Aus- und
Weiterbildungen sowie meines eigenen Genesungsprozesses. Ich habe bestmöglich recherchiert, erhebe aber dennoch keinen Anspruch auf Richtigkeit. In der Wissenschaft gilt etwas solange als
Hypothese, bis es eindeutig belegt (oder widerlegt) ist. Das ist dann Evidenz, ein Fakt. Die Aussagen in diesem Text sind eine Kombination aus Hypothesen und Fakten.
Die Inhalte auf dieser Seite dienen außerdem nur zu Informationszwecken und ersetzen nicht das Gespräch mit Ärztin, Arzt oder anderen Therapeuten. Bitte sprich mit deiner Ärztin, deinem Arzt
oder Therapeuten, bevor du Entscheidungen triffst, die deine körperliche oder mentale Gesundheit betreffen. Jeder Weg in ein Mind-Body-Syndrom ist etwas Individuelles, und jeder Weg
heraus.